Überwindung von Raum und Zeit

Sie­ben dün­ne Kup­fer­dräh­te, dann drei Lagen Gut­ta­per­cha, ein gewun­de­ner, in Öl, Pech, Talk und Teer getränk­ter Jute­f­a­den, umman­telt von 18 Strän­gen aus jeweils sie­ben Eisen­dräh­ten: Das erste trans­at­lan­ti­sche Tele­gra­fen­ka­bel ist ein tech­ni­sches wie ästhe­ti­sches Mei­ster­werk. So kauft das Schmuck­un­ter­neh­men Tif­fa­ny & Co nach der geglück­ten Ver­le­gung quer über den Atlan­tik Rest­be­stän­de des Kabels auf, um sie als Sou­ve­nirs an Mann und Frau zu brin­gen. Als Anfang August 1858 die erste tele­gra­fi­sche Ver­bin­dung zwi­schen der »Alten Welt« und der »Neu­en Welt« her­ge­stellt wird, bricht ein fre­ne­ti­scher Jubel aus – nicht nur in der Fach­welt und bei den betei­lig­ten Pro­jekt­part­nern, son­dern in der gesam­ten Öffent­lich­keit. Hat­te die Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen den Kon­ti­nen­ten in Form der Tele­gra­fie nun end­gül­tig Raum und Zeit über­wun­den?

3.000 Kilometer Pionierarbeit

Mit­te des 19. Jahr­hun­derts ist der Aus­bau tele­gra­fi­scher Lei­tun­gen ins­be­son­de­re ent­lang der neu­en Eisen­bahn­strecken in vol­lem Gan­ge. Das sekun­den­schnel­le Kom­mu­ni­ka­ti­ons­me­di­um der Tele­gra­fie schafft neue Mög­lich­kei­ten. Kolo­ni­al­mäch­te wie Groß­bri­tan­ni­en ver­su­chen, mit der neu­en Tech­nik die Kon­trol­le über ihre Kolo­nien zu festi­gen. In den USA soll die Tele­gra­fie die Wei­te des eige­nen Lan­des erschlie­ßen. Mili­tär, Bör­sen, Han­del und auch die ersten Nach­rich­ten­agen­tu­ren wie Reu­ters oder Asso­cia­ted Press pro­fi­tie­ren in hohem Maße und haben ein vita­les Inter­es­se am wei­te­ren Aus­bau des Tele­gra­fen­net­zes.

Die Idee einer Ver­bin­dung zwei­er Kon­ti­nen­te mit­hil­fe der Tele­gra­fie liegt somit nahe. Jedoch exi­stiert nur wenig Erfah­rung mit sub­ma­ri­nen Elek­tro­ka­beln. 1851 ist die Ver­le­gung eines Tele­gra­fen­ka­bels durch den Ärmel­ka­nal von Dover nach Calais gelun­gen – ins­ge­samt rund 30 Kilo­me­ter. Die Distanz zwi­schen Irland auf der einen und Neu­fund­land auf der ande­ren Sei­te des Atlan­tiks beträgt jedoch cir­ca 3.000 Kilo­me­ter. Ein sol­ches Pro­jekt ist Pio­nier­ar­beit und noch weiß kei­ner so genau, wie das zu bewerk­stel­li­gen sein wird.

Den ent­schei­den­den Impuls zur Ver­le­gung gibt Cyrus West Field, der als ame­ri­ka­ni­scher Papier­fa­bri­kant zu Ver­mö­gen gekom­men ist und nach einem neu­en Betä­ti­gungs­feld Aus­schau hält. Auf der schwie­ri­gen Suche nach geeig­ne­ten Inve­sto­ren wird Field unter ande­rem in Lon­don fün­dig. Hier grün­det er 1856 die »Atlan­tic Tele­graph Com­pa­ny«, mit einem Grün­dungs­ka­pi­tal von 350.000 Pfund. Eben­da fin­det die Com­pa­ny auch die ein­zi­gen Unter­neh­men, die ein 4.000 Kilo­me­ter lan­ges Kabel – man plant im Ver­gleich zur tat­säch­li­chen Distanz rund 1.000 Kilo­me­ter mehr ein – her­stel­len kön­nen.

Schwie­rig­kei­ten erge­ben sich auch bei der Suche nach geeig­ne­ten Schif­fen. Kein Schiff ist in der Lage, das rund 4.000 Ton­nen schwe­re Kabel auf­zu­neh­men. Die ein­zi­ge Lösung: Das Kabel wird in zwei Hälf­ten geteilt und auf das bri­ti­sche Flagg­schiff HMS Aga­mem­non und die ame­ri­ka­ni­sche Dampf­fre­gat­te U.S.S. Nia­ga­ra ver­teilt. Die bei­den umge­bau­ten Kriegs­schif­fe ste­chen Anfang August 1857 das erste Mal in See. Doch das Unter­neh­men steht unter kei­nem guten Stern. Zwei Ver­su­che schei­tern, ein gro­ßer Teil des Kapi­tals ist auf­ge­braucht.

Doch es gibt neue Finanz­sprit­zen und rund ein Jahr spä­ter wird ein wei­te­rer Ver­such gewagt. Anfang August 1858 tref­fen sich bei­de Schif­fe auf dem Atlan­tik, auf Posi­ti­on 52,9 Grad nörd­li­cher Brei­te, 32,27 Grad west­li­cher Län­ge. Hier wer­den bei­de Kabel mit­ein­an­der verspleißt. Die Schif­fe neh­men Kurs auf ihre jewei­li­gen Hei­mat­kon­ti­nen­te und las­sen das Kabel hin­ter sich lang­sam in den Oze­an glei­ten. Am 5. August errei­chen sie die Küsten von Irland und Neu­fund­land. Die Ver­le­gung ist geglückt, das Kabel kann an das jewei­li­ge Inland­te­le­gra­fen­netz ange­schlos­sen wer­den.

Nabelschnur zwischen Amerika und Europa

Am frü­hen Mor­gen des 10. August erreicht die erste tele­gra­fi­sche Nach­richt aus Ame­ri­ka Euro­pa. Ihr Inhalt ist ganz unspek­ta­ku­lär: »Repeat, plea­se«. Erst zwei Tage spä­ter emp­fängt man die ersten Wor­te aus Euro­pa auf ame­ri­ka­ni­scher Sei­te: »Sent con­stant cur­rent five minu­tes«. Bereits hier wird deut­lich, dass die Über­tra­gung zwar mög­lich ist, jedoch nicht rei­bungs­los ver­läuft, im Gegen­teil: Lan­ge Über­mitt­lungs­zei­ten und abge­bro­che­ne Über­tra­gun­gen sind eher die Regel als die Aus­nah­me. Dazu kommt, dass die Tele­gram­me selbst nur wenig Nach­rich­ten­wert besit­zen. Die mei­sten Mit­tei­lun­gen bezie­hen sich auf die Auf­for­de­rung der Gegen­sei­te, Nach­rich­ten zu wie­der­ho­len, lang­sa­mer zu sen­den und ähn­li­ches.

Neben die­sem tech­ni­schen Test­be­trieb wer­den jedoch auch Mit­tei­lun­gen mit höhe­rer Rele­vanz über­mit­telt. Kei­ne ande­re Nach­richt macht die gro­ße Bedeu­tung der beschleu­nig­ten Nach­rich­ten­über­tra­gung so deut­lich, wie ein am 31. August gesen­de­ter Trup­pen­be­fehl. Zur Nie­der­schla­gung des Sepoy-Auf­stands in Indi­en for­dert die bri­ti­sche Füh­rung Trup­pen­tei­le aus Bri­tish North Ame­ri­ca, dem heu­ti­gen Kana­da, an. Die Rück­gän­gig­ma­chung die­ses Marsch­be­fehls über­trägt man über das Trans­at­lan­tik­ka­bel. Der regu­lär auch per Schiff über­mit­tel­te Befehl kommt erst Wochen spä­ter an, sodass die Ein­hei­ten bereits auf dem Weg gewe­sen wären. Man errech­net eine Erspar­nis von rund 50.000 Pfund.

In den fol­gen­den Tagen und Wochen ver­stär­ken sich die Pro­ble­me bei der Über­tra­gung. Am 1. Sep­tem­ber, dem Tag, an dem das Tele­gra­fen­ka­bel der Öffent­lich­keit über­ge­ben wer­den soll, bricht die Ver­bin­dung abrupt ab. Wäh­rend der rund drei Wochen sei­nes Betriebs wer­den ins­ge­samt 400 Mit­tei­lun­gen über das Kabel tele­gra­fiert. Die Hoff­nung, dau­er­haft Kom­mu­ni­ka­ti­ons­strö­me durch den Oze­an hin­durch zum näch­sten Kon­ti­nent zu lei­ten, hat sich nicht erfüllt. Kei­ner der Inve­sto­ren hat Geld ver­dient, im Gegen­teil. Es soll noch wei­te­re acht Jah­re dau­ern, bis eine dau­er­haf­te Ver­bin­dung über den Atlan­tik hin­weg eta­bliert wer­den kann.

Superschnelle Kommunikation

Doch trotz sei­nes kur­zen Lebens erscheint die Ver­le­gung und der Betrieb eines 3.000 Kilo­me­ter lan­gen Tele­gra­fen­ka­bels den Zeit­ge­nos­sen fast schon als Wun­der. Die Eupho­rie über das Erreich­te schlägt sich in öffent­li­chen Para­den, in begei­ster­ten Zei­tungs­ar­ti­keln, poli­ti­schen Reden und nicht zuletzt auch in der Lite­ra­tur nie­der. Für einen kur­zen Moment scheint es so, als wäre die räum­li­che Distanz zwi­schen den bei­den Kon­ti­nen­ten auf eine kur­ze Strecke zusam­men­ge­schnurrt. War der Nach­rich­ten­fluss zwi­schen den Kon­ti­nen­ten bis­her vom trans­at­lan­ti­schen Schiffs­ver­kehr abhän­gig, wo die Über­que­rung des Oze­ans auch mit den neu­en dampf­ge­trie­be­nen Schif­fen min­de­stens einen hal­ben Monat in Anspruch nimmt, benö­tigt das Unter­see­ka­bel im besten Fall nur weni­ge Sekun­den bezie­hungs­wei­se Minu­ten für eine Über­mitt­lung.

Damit steht die trans­at­lan­ti­sche Tele­gra­fie in einer Rei­he mit Ent­wick­lun­gen und Erfin­dun­gen der Zeit – etwa die Eisen­bahn –, die den Zeit­ge­nos­sen den Ein­druck von der Über­win­dung des Rau­mes und der Zeit geben, von zuneh­men­dem Tem­po und ver­grö­ßer­ter Reich­wei­te. Sie ver­bin­det sich mit einer gan­zen Rei­he uto­pi­scher Vor­stel­lun­gen und ver­stärkt bei man­chen den Glau­ben an den Fort­schritt in tech­ni­scher und sogar zivi­li­sa­to­ri­scher Hin­sicht. Durch die Aus­deh­nung des tele­gra­fi­schen Net­zes sol­len die Gren­zen der Kom­mu­ni­ka­ti­on über­wun­den, der Kampf der Völ­ker gegen­ein­an­der been­det wer­den. Die super­schnel­le Kom­mu­ni­ka­ti­on via Elek­tri­zi­tät ist für eini­ge bereits gleich­be­deu­tend mit der völ­li­gen Auf­he­bung von Raum und Zeit. So schreibt etwa die New York Times am 7. August 1858: »Time, in the tran­sit, may be regard­ed as enti­re­ly eli­mi­na­ted.«

Allein die wis­sen­schaft­li­che und tech­ni­sche Ent­wick­lung hält (noch) nicht Schritt. Die unzu­ver­läs­si­ge Über­tra­gung der Nach­rich­ten liegt auch an der zum Teil man­gel­haf­ten Iso­lie­rung des Kabels, des­sen Kup­fer in Stär­ke und Qua­li­tät oft vari­iert. Dar­un­ter lei­det die Lei­tungs­fä­hig­keit des Kabels. Auch hat sich noch kei­ne kla­re Theo­rie zum Wesen der Elek­tri­zi­tät durch­ge­setzt. Oft­mals geht man ein­fach nach der Devi­se »Tri­al and Error« vor. Als die Über­mitt­lungs­schwie­rig­kei­ten wei­ter anhal­ten, gibt man kur­zer­hand 2.000 Volt Span­nung auf das Kabel – sein Todes­ur­teil.

Vom Kupferdraht zur Glasfaser

Den­noch brin­gen die Ver­le­gung und der Betrieb des ersten trans­at­lan­ti­schen Kabels wich­ti­ge Erkennt­nis­se und befeu­ern die Wis­sen­schaft – nicht nur auf dem Gebiet der Elek­tro­phy­sik. Auch die ozea­no­gra­fi­sche Erfor­schung des Atlan­tiks wird wei­ter vor­an­ge­trie­ben. Acht Jah­re spä­ter, 1866, glückt mit der Gre­at Eastern, dem damals größ­ten Dampf­schiff der Welt, die Ver­le­gung eines zwei­ten, funk­tio­nie­ren­den Trans­at­lan­tik­ka­bels. Die tele­gra­fi­sche Nabel­schnur zwi­schen Euro­pa und Ame­ri­ka ist wie­der her­ge­stellt. Das ist der Start­schuss für die Ver­le­gung wei­te­rer sub­ma­ri­ner Kabel. Rund hun­dert Jah­re nach dem ersten trans­at­lan­ti­schen Tele­gra­fen­ka­bel wird das erste Tele­fon­ka­bel zwi­schen Euro­pa und Ame­ri­ka in Betrieb genom­men.

Seit 1988 wer­den die bis dahin aus Kup­fer bestehen­den Lei­tun­gen all­mäh­lich durch Glas­fa­ser ersetzt, die eine weit­aus höhe­re Band­brei­te garan­tie­ren – ins­be­son­de­re die Öff­nung des Inter­net für grö­ße­re Nut­zer­krei­se in den 1990er Jah­ren macht dies not­wen­dig. Blickt man heu­te auf die Welt­kar­te der Unter­see­ka­bel, erkennt man ein kom­ple­xes Geflecht von Kabeln, die ent­lang von Küsten und quer über nahe­zu alle Mee­re ver­legt sind – und fast jähr­lich kom­men neue hin­zu. Sie stel­len das tech­ni­sche Rück­grat des heu­ti­gen Inter­net dar und las­sen den enor­men Kom­mu­ni­ka­ti­ons­hun­ger der mensch­li­chen Gesell­schaf­ten erah­nen – eine Geschich­te, die 1858 mit einem dün­nen Kup­fer­ka­bel ihren Anfang nahm.


Zuerst ver­öf­fent­licht in: Stif­tung Deut­sches Tech­nik­mu­se­um Ber­lin (Hg.): Netz-Din­ge. 30 Geschich­ten. Vom Tele­gra­fen­ka­bel bis zur Daten­bril­le, Ber­lin 2018.
Objekt­fo­to: Cle­mens Kirch­ner, Stif­tung Deut­sches Tech­nik­mu­se­um Ber­lin


Lite­ra­tur:

Ander­sen, Hans Chri­sti­an: Die gro­ße See­schlange. (Stand: 17.10.2017; däni­sche Ori­gi­nal­aus­ga­be 1871)

Gor­don, John Ste­e­le: A Thread Across the Oce­an: The Heroic Sto­ry of the Transatlan­tic Cable, New York 2003.

Hol­torf, Chri­sti­an: Der erste Draht zur Neu­en Welt. Die Ver­le­gung des transat­lantischen Tele­gra­fen­ka­bels, Göt­tin­gen 2013.

Zweig, Ste­fan: »Das erste Wort über den Oze­an«, in: Stern­stun­den der Mensch­heit, Leip­zig 1928.