Kaffee und Maloche

Vor eini­ger Zeit muss­te ich mich einer klei­nen chir­ur­gi­schen Kie­fer-OP unter­zie­hen. Ich gehe lie­ber nicht ins Detail. Jeden­falls sag­te der Arzt, ich hät­te nach der Behand­lung ein paar »schwie­ri­ge Tage« vor mir. Ich dach­te: »Schmer­zen! Eine Ibu­profen 800 nach der ande­ren.« Doch der Schmerz blieb aus. Rein gar nichts. Sie kön­nen sich mein Glück vor­stel­len?! Aller­dings wur­den die Tage nach der Ope­ra­ti­on auf eine ande­re Wei­se »schwie­rig«. Denn das Ver­bot des Kaf­fee­trin­kens mach­te mir zu schaf­fen. Ich spür­te mei­ne Abhän­gig­keit. Gera­de bei der feh­len­den Tas­se am Mor­gen. Das Aus­blei­ben die­ses fan­ta­sti­schen Zeugs, die­ser gesell­schaft­lich völ­lig akzep­tier­ten und inte­grier­ten Dro­ge, ver­ur­sach­te Ent­zugs­er­schei­nun­gen.

Glück­lich wur­de ich erst wie­der, als die Zehn-Tage-Frist nach der OP abge­lau­fen war. Ich stieg wie­der voll ein, beru­hig­te aber mein Gewis­sen damit, das Kaf­fee­trin­ken nun ein wenig mehr zu »zele­brie­ren«: Das gan­ze Pro­ze­de­re des Kaf­fee­zu­be­rei­tens und ‑trin­kens benö­tig­te Ent­schleu­ni­gung. Ich woll­te mir etwas mehr Zeit neh­men, die Tas­se nicht ein­fach schnell her­un­ter­stür­zen. Die Devi­se war (und ist): Nicht mehr so viel, dafür mit mehr Genuss. Und natür­lich mit allen ver­füg­ba­ren Fair­trade- und Öko­sie­geln zur Beru­hi­gung des bür­ger­li­chen Kon­sum­ge­wis­sens.

Kaffee mahlen und schmuggeln

Etwa in die­se Zeit fiel auch die erst­ma­li­ge Nut­zung der höl­zer­nen Kur­bel-Kaf­fee­müh­le im Büro. Sie wur­de vor Jah­ren am Floh­markt beim Schö­ne­ber­ger Rat­haus gekauft. Ein hüb­sches Ding: Der Kasten aus Buchen­holz, Mahl­werk und Kur­bel aus Metall, vor­ne ein roter, schon etwas abge­wetz­ter Auf­kle­ber, dar­auf das Logo – ein lie­gen­der Löwe mit Regen­schirm – und der Schrift­zug des Her­stel­lers: Zas­sen­haus. Will man den Mahl­grad ein­stel­len, muss man noch den Auf­fang­be­häl­ter aus der Müh­le her­aus­zie­hen und dann – mit etwas Gefum­mel – den Hebel unten am Mahl­werk bedie­nen. Das klei­ne Gerät ist Zas­sen­haus‘ Modell Nr. 105, her­ge­stellt in den 1950er Jah­ren – eine tur­bu­len­te Zeit, was den Kaf­fee­kon­sum in der Bun­des­re­pu­blik anbe­langt.

Denn bis 1953 wur­de der schwar­ze Wach­ma­cher so hoch besteu­ert, dass sich ein lukra­ti­ver Kaf­fee-Schmug­gel ent­wickel­te, beson­ders an der Gren­ze zu Bel­gi­en und den Nie­der­lan­den. Die »Aache­ner Kaf­fee­front« lag dabei im Zen­trum. Zwi­schen 1945 und 1953 sol­len ins­ge­samt 31 Schmugg­ler und zwei Zöll­ner ums Leben gekom­men, Hun­der­te durch Schüs­se schwer ver­letzt wor­den sein. Zum Schutz vor den Schüs­sen der Zöll­ner setz­ten Schmugg­ler in einem beson­ders auf­se­hen­er­re­gen­den Fall gestoh­le­ne bel­gi­sche Schüt­zen­pan­zer­wa­gen ein. Als der Zoll schließ­lich den Ein­satz von Hand­gra­na­ten for­der­te, wur­de der Kaf­fee­krieg kur­zer­hand been­det, vor allem durch die dra­sti­sche Absen­kung der Kaf­fee­steu­er. Was nicht gelösch­ter Kaf­fee­durst offen­bar anrich­ten kann …

Schmiermittel der Körpermaschine

War­um wir dem Kaf­fee so ver­fal­len sind, hat aber nicht nur mit Abhän­gig­keit und Genuss zu tun. Kaf­fee ist ein glo­ba­les Mil­li­ar­den-Euro-Geschäft und seit Beginn des 19. Jahr­hun­derts fest im All­tag inte­griert. Sei­ne Eigen­schaft, Müdig­keit zu bekämp­fen und die Kon­zen­tra­ti­on zu för­dern, pass­te unge­mein gut zu den neu­en Anfor­de­run­gen der Indu­stria­li­sie­rung. Über­all dort, wo schwer kör­per­lich gear­bei­tet wur­de, erober­te der Kaf­fee sei­nen Platz. Er ließ sich auch wun­der­bar in die Vor­stel­lung vom Kör­per als Maschi­ne inte­grie­ren. Max Pet­ten­ko­fer, der ein­fluss­rei­che Hygie­ni­ker, ver­glich 1873 den Genuss des Kaf­fees »mit der Anwen­dung der rich­ti­gen Schmie­re bei Bewe­gungs­ma­schi­nen […] wel­che zwar nicht die Dampf­kraft erset­zen kann, aber zu einer viel leich­te­ren und regel­mä­ßi­ge­ren Wirk­sam­keit ver­hilft und außer­dem der Abnut­zung der Maschi­ne ganz wesent­lich vor­beugt.« Ziel war der rei­bungs­lo­se Lauf der Kör­per­ma­schi­ne und ihre größt­mög­li­che Effi­zi­enz. Dass Fabri­kant XY dar­an ein vita­les Inter­es­se hat­te, lässt sich leicht erah­nen.

Für die Arbei­te­rin­nen und Arbei­ter selbst bedeu­te­te die Kaf­fee­pau­se eine kur­ze Unter­bre­chung von der oft mono­to­nen Beschäf­ti­gung. Aller­dings durf­te sie nicht zu lan­ge dau­ern. Denn schließ­lich galt die Pau­se nicht als Arbeits­zeit und dehn­te somit die Anwe­sen­heit im Betrieb ent­spre­chend aus. Noch 1939 setz­te sich etwa die Beleg­schaft der AEG Appa­ra­te Fabrik in Ber­lin-Trep­tow damit durch, die Mit­tags­pau­se auf 15 Minu­ten zu ver­kür­zen – ent­ge­gen allen ärzt­li­chen War­nun­gen. Mit­te des 19. Jahr­hun­derts kon­kur­rier­te der Kaf­fee bei der Früh­stücks- oder Ves­per­pau­se noch lan­ge Zeit mit dem Bier, was mit Brot, Wurst und Käse eine nahr­haf­te Mahl­zeit ergab – jedoch aus­schließ­lich für Arbei­ter, die es sich lei­sten konn­ten. Bei Arbei­te­rin­nen sah es oft anders aus. Die nied­ri­ge­ren Löh­ne für Frau­en führ­ten dazu, dass Arbei­te­rin­nen sel­ten ein war­mes Essen kau­fen konn­ten. Statt­des­sen war oft­mals Kaf­fee und Brot der ein­zi­ge Ersatz – mor­gens wie mit­tags. Das in Kaf­fee getauch­te Brot sorg­te dann für die Illu­si­on eines war­men Mit­tag­essens und wur­de nicht sel­ten auch Kin­dern ver­ab­reicht.

Durstlöscher der Industrialisierung

Doch noch mal kurz zurück zum Bier. Betrun­ken am Arbeits­platz zu sein, war abso­lut nicht unge­wöhn­lich. Dem ent­ge­gen stan­den die fort­schrei­ten­de indu­stri­el­le Ratio­na­li­sie­rung, die streng getak­te­ten Arbeits­ab­läu­fe und immer höhe­re Anfor­de­run­gen an Kon­zen­tra­ti­on und Reak­ti­ons­schnel­lig­keit. Immer wie­der kam es zu Unfäl­len unter Alko­hol­ein­fluss. Ein kom­plet­tes Ver­bot konn­te jedoch lan­ge Zeit nicht durch­ge­setzt wer­den. Die Mäßi­gungs­be­we­gung, die sich gegen Alko­hol­kon­sum aus­sprach, ver­such­te daher, alter­na­ti­ve Geträn­ke­an­ge­bo­te zu schaf­fen. Zu der Zeit war auch die Geburts­stun­de zahl­rei­cher Ber­li­ner Volks­kü­chen, die sich ab den 1860er Jah­ren lang­sam über das Stadt­ge­biet ver­teil­ten. Sie boten preis­gün­sti­ge und gesun­de Kost an. Kaf­fee war immer mit von der Par­tie, wie spä­ter dann auch bei den eher kom­mer­zi­ell aus­ge­rich­te­ten Volks­kaf­fee- und Spei­se­hal­len.

Bis zum Ende des 19. Jahr­hun­derts waren vie­le Betrie­be dazu über­ge­gan­gen, ihren Arbei­te­rin­nen und Arbei­tern das Kaf­fee­trin­ken zu ermög­lich, wenn auch nur not­dürf­tig: 1896 soll es in drei von 72 Ber­li­ner Betrie­ben einen sepa­ra­ten Raum zum Kaf­fee­ko­chen gege­ben haben. Vie­le brach­ten ihren fer­tig gekoch­ten Kaf­fee immer noch von zu Hau­se mit, in hohen Hen­kel­kan­nen, um ihn dann mit­tags und nach­mit­tags kalt zu trin­ken – vor allen Din­gen als Durst­lö­scher. Dane­ben gab es jedoch auch ver­schie­de­ne klein­ge­werb­li­che Kaf­fee- und Spei­se­wa­gen, die per Hand oder von Tie­ren gezo­gen wur­den. Essen und Kaf­fee waren hier in dick iso­lier­ten Behäl­tern ein­ge­füllt und wur­den auf der Stra­ße ver­kauft.

Jedoch gelang es wohl kaum, die Wagen recht­zei­tig zu den Pau­sen­zei­ten an die wich­tig­sten Arbeits­stät­ten zu schaf­fen. Eini­ge Unter­neh­men lie­ßen daher eige­ne Kaf­fee­wa­gen her­um­fah­ren. 1927 war es den AEG-Beschäf­tig­ten in Ber­lin aus­drück­lich erlaubt, den Arbeits­platz kurz zu ver­las­sen und sich an den mobi­len Kaf­fee­wa­gen mit Geträn­ken zu ver­sor­gen. Denn eine sol­che Ver­sor­gung war einer­seits gesetz­lich gebo­ten, ander­seits spar­ten Arbei­te­rin­nen und Arbei­ter Wege und die Unter­neh­men kost­ba­re Arbeits­zeit. Expli­zi­te Betriebs­kan­ti­nen hin­ge­gen ent­stan­den in Ber­lin auf­grund der guten Ver­sor­gung mit exter­ner Gastro­no­mie weit­aus weni­ger als bei­spiels­wei­se im Ruhr­ge­biet oder in ande­ren indu­stri­el­len Zen­tren.

Ersatz- und Bohnenkaffee

Ein Wort noch zum Kaf­fee selbst. Zwar kam es natür­lich auf die spe­zi­el­le anre­gen­de Wir­kung des Kof­fe­ins an. Die war aller­dings nur mit »ech­tem« Boh­nen­kaf­fee zu haben, der wesent­lich teu­rer war als Kaf­fee­sur­ro­ga­te bezie­hungs­wei­se »Ersatz­kaf­fee«. War­um Getrei­de­malz- oder Zicho­ri­en­kaf­fee sei­ne Abneh­mer fand, hat zahl­rei­che Grün­de, die hier nur gestreift wer­den kön­nen: Sie erstrecken sich bei­spiels­wei­se von der ärzt­li­chen Emp­feh­lung an „kaf­fee­kran­ke“ preu­ßi­sche Poten­ta­ten (Kur­fürst Fried­rich Wil­helm) über mer­kan­ti­li­sti­sche Wirt­schafts­wei­sen (»Kaf­fee – Made in Preu­ßen«) bis hin zu – spä­ter – hand­fe­sten Gewinn­in­ter­es­sen (Zicho­ri­en­kaf­fee als kosten­gün­sti­ger Ver­kaufs­schla­ger). 1918 ver­füg­te Ber­lin daher auch über 23 Sur­ro­gat­fa­bri­ken, die Getrei­de­malz oder Zicho­ri­en­wur­zeln röste­ten. Genos­sen wur­de der Kaf­fee somit nicht sel­ten, gera­de auch in der indu­stri­el­len Arbei­ter­schaft, als Ersatz­kaf­fee, der mit Zusät­zen von Boh­nen­kaf­fee ver­fei­nert wur­de. Die Kon­sum­ge­schich­te des Ersatz­kaf­fees erstreckt sich im Übri­gen bis heu­te. Gera­de im Zuge der Bio-Lebens­mit­tel-Bewe­gung wird der Getrei­de­malz­kaf­fee als ein­hei­mi­sches, regio­na­les und damit öko­lo­gi­sches Pro­dukt gese­hen und ver­mark­tet.

Natür­lich gibt es noch sehr viel mehr über den Kaf­fee zu berich­ten … Viel­leicht noch eini­ge Zah­len: Momen­tan trin­ken Sie, lie­be Lese­rin und lie­ber Leser, im Schnitt 162 Liter Kaf­fee im Jahr. Boh­nen­kaf­fee, wohl­ge­merkt. Das ist etwa so viel, wie in eine mit­tel­gro­ße Regen­ton­ne passt. In Finn­land aller­dings trinkt man fast dop­pelt so viel Kaf­fee. Das wie­der­um möch­te ich nicht kom­men­tie­ren. Ihr lieb­stes Zube­rei­tungs­ge­rät ist nach wie vor die klas­si­sche Fil­ter­kaf­fee­ma­schi­ne (bei 69,1 Pro­zent der deut­schen Kaf­fee­trin­ke­rin­nen und ‑trin­ker). Eini­ge von Ihnen benut­zen zudem die­se modi­schen Pad­ma­schi­nen (38,3 Pro­zent). Die von mir favo­ri­sier­te Sieb­s­tem­pel­kan­ne ran­giert bei mage­ren 15,2 Pro­zent. Daher ergeht ein Auf­ruf: Pro­bie­ren Sie ihren Kaf­fee doch mal aus einer sol­chen Kan­ne. Schmeckt echt am besten!


Zuerst ver­öf­fent­licht in: Stif­tung Deut­sches Tech­nik­mu­se­um Ber­lin, Freun­de und För­de­rer des Deut­schen Tech­nik­mu­se­ums Ber­lin e.V. (Hg.): Deut­sches Tech­nik­mu­se­um Ber­lin, Heft 2, Ber­lin 2019.


Lite­ra­tur:

brand­eins-Web­site mit sta­ti­sti­schen Anga­ben zu Kaf­fee (Stand 17.06.2019)

Mäh­nert, Joa­chim: Kaf­fee und doch kei­ner. Vom Ersatz­kaf­fee der alten Preu­ßen zum moder­nen Öko-Ged­trei­de­kaf­fee, in: Kaf­fee. Vom Schmug­gel­gut zum Life­style-Klas­si­ker, hrsg. von Peter Lum­mel, Ber­lin 2002.

Pet­ten­ko­fer, Max: Ueber Nah­rung und Fleisch­ex­trakt, Braun­schweig 1873.

Teu­te­berg, Hans-Jür­gen: Kaf­fee, in: Genuss­mit­tel: Ein kul­tur­hi­sto­ri­sches Hand­buch, hrsg. von Tho­mas Hen­gart­ner u. Chri­stoph Maria Mer­ki, Frank­furt a.M./ New York 1999.

Thoms, Ulri­ke: Es stärkt und nährt die mat­ten Glie­der. Kaf­fee in der Arbeits­welt, in: Kaf­fee. Vom Schmug­gel­gut zum Life­style-Klas­si­ker, hrsg. von Peter Lum­mel, Ber­lin 2002.

Wiki­pe­dia-Arti­kel zur Aache­ner Kaf­fee­front (Stand 17.06.2019)